Diese Aufgabe der Entscheidung muss dann von den Angehörigen übernommen werden. Das ist sehr schwer, denn nun ist es an ihnen, die Festlegungen zu treffen, die von der Person die es betrifft, nicht getroffen wurde. Für den Fall, nicht länger Herr der eigenen geistigen Fähigkeiten zu sein, lässt sich mit Verfügungen und Vollmachten allerdings sicherstellen, dass der eigene Wille auch dann noch umgesetzt wird.
Wenn man selbst nicht mehr entscheiden kann
Gerade über sogenannte „lebenserhaltene Maßnahmen“ möchten viele vorab eindeutig ihren Willen äußern. Ärztlichen Behandlungsmaßnahmen muss grundsätzlich der Patient zustimmen. Ist dies aufgrund des Gesundheitszustandes nicht möglich, können Volljährige zukünftige Entscheidungen mithilfe einer Patientenverfügung vorab festlegen vorab festlegen. Die Patientenverfügung ist ein zivilrechtlich anerkanntes Dokument, in welchem vorsorglich der eigene Wille schriftlich festgehalten wird.
Die Patientenverfügung findet Anwendung, sobald deren Verfasser selbst nicht mehr in der Lage ist, über eine Behandlungsmaßnahme zu entscheiden. Sie sichert, dass nicht die Angehörigen oder gar Fremde die Risiken bzw. Heilungschancen einer ärztlichen Behandlung bewerten müssen.
Betreuungsmaßnahmen wie Beatmung, künstliche Ernährung und Grenzen der Behandlung können in dem Dokument geregelt werden. Arzt, Pflegepersonal oder Betreuern gilt die Verfügung dann als Entscheidungshilfe. Man kann sich schriftlich mit entsprechenden medizinischen Verfahren einverstanden erklären, diese eingrenzen oder einige völlig ablehnen.
Wichtig ist, dass eine Patientenverfügung schriftlich vorliegt. Sie ist ein rechtlich bindendes Dokument, es sei denn, in ihr wird gegen geltendes Recht verfügt. Dies könnte beispielsweise in der Aufforderung zur Sterbehilfe der Fall sein. Eine Patientenverfügung sollte konkrete Formulierungen enthalten: Es sollte unmissverständlich aufgeführt sein, welche Umstände eintreten müssen, damit die Verfügung wirksam ist. Weichen die Bedingungen nämlich ab, ist die Patientenverfügung nicht unbedingt verbindlich. Hilfe zur Formulierung kann ein fachärztliches Gespräch bieten. Ratsam ist es zudem, die Unterschrift regelmäßig zu erneuern, um die Aktualität der Verfügung zu sichern.
Im Übrigen ist das Abfassen einer Patientenverfügung keinesfalls gesetzlich verpflichtend. Die Vorlage einer solchen ist freiwillig, sie darf jedoch nicht etwa eine Bedingung für den Abschluss von Versicherungsverträgen sein.
BGH – Patientenverfügung muss konkret genug sein
Nun fragen sich die Angehörigen: Hätte sich der ihnen nahestehende Mensch ein kurzes Leiden gewünscht – ohne lebensverlängerten Maßnahmen? Welche medizinische Behandlung hätte sie sich gewünscht und wie hätte sie sich entschieden? Ist man herzlos, wenn man sich entscheidet, die Behandlung jetzt zu beenden oder gehört es sich, weiter zu machen, solange das geht?
Das sind nur einige der extrem belastenden Fragen, die sich vor den Angehörigen auftürmen, wenn sie sich nicht auf eine solide Patientenverfügung stützen können. Darum formuliert der Bundesgerichtshof die Anforderungen an die Patientenverfügungen mit einem aktuellen Urteil noch konkreter (Az. XII ZB 61/16).
Bei einer Patientenverfügung müssen Menschen darüber nachdenken, wie lange und in welcher Weise sie am Ende ihres Lebens behandelt zu werden wünschen. Nachdem sie diese Fragen für sich geklärt haben, tragen sie das Ergebnis dann in ihre Verfügung ein. Dabei genügt es jedoch nicht, nur zu fixieren, dass man keine „lebensverlängernden Maßnahmen“ möchte. Denn das ist nicht präzise genug, weil im Zweifelsfall niemand etwas damit anfangen kann.
Patientenverfügung ohne Interpretationsspielraum
Der BGH entschied darum, dass die getroffenen Festlegungen in der Patientenverfügung erst dann bindende Kraft gewinnen, wenn sie konkret einzelne ärztliche Maßnahmen benennen, Krankheiten klar bezeichnen und wenn auch bei Behandlungssituationen keine Interpretationsspielräume offen gelassen werden. Das sind die neuen Bedingungen, die die Richter in Karlsruhe am BGH formuliert haben.
Zu der Neujustierung der Anforderungen an die Patientenverfügung kam es wegen einer ungenauen Patientenverfügung, die im Streit von drei Schwestern mündete. Die Mutter der drei Schwestern, die Jahrgang 1941 war, konnte infolge eines Hirnschlags nicht mehr sprechen und sich selbstständig ernähren, das geschah nun über eine Magensonde.
Die Geschwister gerieten aneinander, weil sie sich uneinig waren darüber, wie sie nun weiter mit der pflegebedürftigen Mutter verfahren sollten. Galt ihr Leben unter diesen Umständen nun weniger? Hätte die Mutter selbst gewollt, dass man ihrem Leben trotz aller neuen und niederschmetternden Lebensumstände eine medizinische Verlängerung ermöglicht hätte? Drei Menschen, drei Meinungen. Und keine einzige klare Ansage in der Patientenverfügung der Mutter.
Lebensverlängernde Maßnahme – was zählt dazu
Die Mutter hatte sogar gleich zwei Verfügungen aufgesetzt. In beiden hatte sie entschieden, dass sie im Falle eines schweren Gehirnschadens ohne "lebensverlängernde Maßnahmen" verfahren wolle. In der Verfügung erteilte sie außerdem einer ihrer Töchter die Vollmacht, ihre Wünsche, die sie in der Vollmacht fixiert hatte, durchzusetzen.
Eine Vollmacht greift, solange alles „nach Plan“ verläuft. Aber eine Vollmacht wird aufgehoben oder beschränkt, wenn sich abzeichnet, dass die mit der Vollmacht betraute Person dem Willen des Patienten nicht entspricht.
So meinte die Tochter mit der Vollmacht nun, dass die Aufhebung der künstlichen Ernährung dem Wunsch der Mutter zuwider liefe. Das sahen die anderen beiden Schwestern jedoch nicht so. Doch gerade an diesem Punkt wäre eine präzise Aussage der Mutter überaus dienlich gewesen. So sahen es auch die BGH-Richter, indem sie die Verfügungen als nicht konkret genug bewerteten. Schließlich könne man daraus keinen Sterbewunsch ableiten.
Nicht konkret heißt, es fehlen Verweise auf bestimmte Maßnahmen oder auf konkrete Krankheiten – dann wüsste man, ob die künstliche Ernährung vom Patienten als lebensverlängernde oder als lebenserhaltende Maßnahme eingestuft worden wäre und ob er beides gewünscht oder abgelehnt hätte.
Gericht prüft die möglichen Wünsche
Im beschriebenen Fall war ja nun aufgrund der unzureichenden Patientenverfügung nicht klar, ob die Mutter die Fortführung oder den Abbruch der künstlichen Ernährung gewünscht hätte. Diese Unklarheit gedieh soweit, dass gegenwärtig das Landgericht im baden-württembergischen Mosbach eine Prüfung anstellt, die versucht, Bemerkungen der Patienten in der Vergangenheit aufzuspüren, welche einen Hinweis liefern könnten auf den Wunsch der Mutter in der aktuellen Situation.
Es ist ein außergewöhnliches Beispiel, welches aber verdeutlicht zeigt, dass die bisherige Form der Patientenverfügung noch nicht die erforderliche, umfassende und unmissverständliche Klarheit an den Tag legt in der Frage, wie mit einem Patienten nach dem Verlust seiner eigenen Entscheidungsfähigkeit zu verfahren sei.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hat das BGH-Begehren zum Anlass genommen, an Millionen Deutsche zu appellieren, damit diese ihre Verfügungen noch einmal mit präzisem Blick prüfen. "30 Prozent der Deutschen haben bislang eine Patientenverfügung abgefasst", erklärte der Vorstand der Stiftung Eugen Brysch.
So sind viele, die eine Verfügung aufgesetzt haben, so Brysch, unsicher, ob denn ihre Dokumente in der konkreten Praxis überhaupt etwas taugen. Denn viele wissen nicht genau, ob ihre Patientenverfügungen die Entscheidungsprozesse ihrer Angehörigen tatsächlich vereinfachen und entlasten können. Durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs sei aber nun "für Klarheit gesorgt", so Brysch.
Jeder zweite Notfallpatient ohne Vorsorgevollmacht oder Patientenverfügung
Studienergebnisse zeigen, dass jeder zweite Notfallpatient keine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht hat. Weiterhin versagen 9 von 10 Patientenverfügungen, weil sie nicht passen.
Ein Unfall oder eine plötzlich auftretende Erkrankung – die Gründe, warum man innerhalb weniger Stunden in das Spital eingeliefert und auf die Intensivstation gebracht wird, sind vielfältig. Viele wollen sich eine derartige Zukunft gar nicht vorstellen und verdrängen den Gedanken der Sterblichkeit. Das ist wohl auch einer von vielen Gründen, warum nur jeder zweite Patient, der auf einer Intensivstation in Deutschland liegt, über eine Patientenverfügung oder über eine sogenannte Vorsorgevollmacht verfügt. Die Folgen können aber durchaus dramatisch sein: Ist es der Person nicht mehr möglich, dass sie über sich selbst entscheidet, so muss eine fremde Person als Betreuer eingesetzt werden – das heißt, dass die Familienangehörigen keine Entscheidungsgewalt mehr haben. Die aktuellen Studienergebnisse, die vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf veröffentlicht wurden, sorgen nun für Diskussionen: Forscher fordern etwa eine weitaus bessere Aufklärung durch Krankenkassen und Ärzte.
"Wer eine Vollmacht oder Verfügung besitzt, der ist juristisch abgesichert. In diesem Fall können wir im Sinne des Patienten handeln", so Professor Stefan Kluge. Das Präsidiumsmitglied der DIVI – der "Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin" – ist auch am Uniklinikum Hamburg beschäftigt und kennt die Problematik.
Plötzlich wird über das Leben des Patienten entschieden
Wer eine Verfügung besitzt, der entscheidet selbst, welche medizinischen Behandlungen in Anspruch genommen werden sollen. Soll man etwa künstlich beatmet werden, wenn man sich in einem irreparablen Koma befindet? Eine weitere Möglichkeit stellt die Vollmacht dar: Hier entscheidet eine im Vorfeld festgelegte Person, welche Maßnahmen gesetzt werden sollen. Dabei geht es auch um die Aufteilung des Vermögens, um die Annahme diverser Poststücke oder auch um die Entscheidung, welche lebensverlängernden Maßnahmen gesetzt werden sollen. "Diese Vorsorgedokumente sind extrem wichtig", weiß Kluge.
"Jeder Deutsche, der mindestens 18 Jahre alt ist, sollte eine Vollmacht besitzen. Nur dann kann im Ernstfall richtig reagiert und gehandelt werden." Doch warum entscheiden sich nicht alle Bundesbürger für eine derartige Vorsorge? "Es fehlt an der Aufklärung. Viele sind der Meinung, dass der Ehepartner, der Freund oder ein Angehöriger entscheidet. Das ist aber nicht richtig. In Deutschland herrscht das sogenannte Selbstbestimmungsrecht. Die Gefahr, dass das Gericht einer außenstehenden Person die Entscheidung überträgt, darf nicht unterschätzt werden." Die Ergebnisse der Studie belegen auch, was Professor Kluge tagtäglich erlebt: Im absoluten Ernstfall ernennt das Gericht einen Betreuer, wenn der Patient nicht mehr selbst über sich entscheiden kann und eine Vollmacht fehlt. Jedoch muss der Betreuer nicht automatisch ein Familienangehöriger sein. Auch eine unbekannte Person kann diese Rolle übernehmen.
Fehlende Unterlagen & unvollständige Angaben
Fehlende Unterlagen oder unvollständige Angaben erschweren die Arbeit.
Die Studienergebnisse haben aber auch gezeigt, dass in vielen Fällen auch unvollständige Unterlagen vorliegen – das ist ein zusätzliches Problem. Selbst dann, wenn es eine Verfügung oder eine Vollmacht gibt, so heißt das noch lange nicht, dass diese auch dem Gesetz entsprechen. Rund 40 Prozent aller Vorsorgevollmachten und 44 Prozent aller Verfügungen seien kaum leserlich oder unvollständig. Die Folge? Das Gericht kann die Willenserklärung nicht anerkennen. Wichtig ist, dass sich in der Verfügung die gewünschte Maßnahme findet und konkret benannt ist.
"Leidet der Patient unter einer chronischen Niereninsuffizienz, so muss vermerkt sein, dass die Dialyse auch weiterhin gewünscht wird. So auch, wenn es um die Beatmungstherapie geht, wenn der Patient unter einer schweren Lungenerkrankung leidet", so Kluge. Würden Angaben fehlen oder unvollständig sein, so kommt es zuerst zu einem Gespräch mit einem Angehörigen. In vielen Fällen kann so geklärt werden, welcher Weg gegangen werden soll. Problematisch ist es nur dann, wenn der Angehörige nicht weiß, welche Wünsche der Intensivpatient hat. "Ist die Patientenverfügung mangelhaft ausgefüllt oder kann nicht zu 100 Prozent nachvollzogen werden, so darf kein Arzt eingreifen. Schlussendlich ist das Risiko zu hoch, dass der Arzt dann gegen den Willen des Patienten entscheidet."
Checkliste:
• Medizinische Präzision und rechtliche Gültigkeit
• Sofortige Verfügbarkeit des Volltextes für den Notfall
• Regelmäßige Aktualisierungshinweise für alle Dokumente
Was ist bei einer Vollmacht zu beachten?
Damit die Verfügung und die Vollmacht überhaupt gültig sind, müssen sie schriftlich festgehalten und auch von der Person eigenhändig unterfertigt werden. Werden im Zuge der Vollmacht etwaige Immobiliengeschäfte geregelt, so ist die Beglaubigung durch einen Notar erforderlich. Jedoch empfehlen Experten, sich im Zuge der Erstellung einer Vorsorgevollmacht beraten zu lassen. Ratsam ist die Beratung durch einen Juristen. Aber auch ein Mediziner kann beratend zur Seite stehen. Schlussendlich können schon die kleinsten Unzulänglichkeiten einen Rechtsstreit auslösen. In den Dokumenten sollten sich auf jeden Fall auch Angaben zu der Zeit und zu dem Ort finden, sodass nachvollzogen werden kann, wann das Schriftstück erstellt wurde. Wichtig ist auch, dass die Vorsorgedokumente derart aufbewahrt werden, sodass sie im Ernstfall auch gefunden werden können.
Nun ist die Politik gefragt …
"Die Politiker, die Krankenversicherer und auch die Hausärzte müssen noch intensiver daran arbeiten, dass sich mehr Deutsche um ihre Vorsorgedokumente kümmern", so Kluge. Schlussendlich haben die Ergebnisse der Studie gezeigt, dass 39 Prozent gar nicht gewusst haben, dass es derartige Dokumente gibt oder dass sie im Ernstfall benötigt werden, sodass weiterführende Maßnahmen umgesetzt werden können. "Die Patientenverfügung kann sehr wohl mit dem eigenen Hausarzt besprochen werden." Doch was passiert, wenn weiterhin keine Aufklärung betrieben wird? "Wenn die Verantwortlich nicht auf unsere Warnungen reagieren, dann müssen wir uns darauf einstellen, dass die unklaren Behandlungsverhältnisse immer mehr werden", so Kluge. Nun sind die Politiker an der Reihe – aber auch die Hausärzte müssen mehr auf die Patienten eingehen und den Patienten erklären, warum Vorsorgedokumente so extrem wichtig sind.
Betreuungsverfügung & Vorsorgevollmacht online erstellen
Schon seit längerer Zeit wissen die Ärzte, was im Juli 2016 vom Bundesgerichtshof bestätigt wurde: Viele Patientenverfügungen sind komplett nutzlos – rund 90 Prozent aller Vorsorgedokumente sind entweder veraltet oder viel zu ungenau verfasst. Des Weiteren dauert es oft einige Tage, bis das Dokument überhaupt im Spital ankommt.
Mit der Gesundheitscloud etabliert das Hasso-Plattner-Institut (HPI ) eine patientenzentrierte Plattform für Gesundheitsdaten, die von einer Non-Profit-Organisation betrieben wird. In ihr können Nutzer eigene medizinische Daten unabhängig vom Anbieter zusammenführen und sie auf Wunsch mit anderen teilen, beispielsweise mit Ärzten oder Verwandten. Im Unterschied zu anderen Angeboten werden Nutzer der Gesundheitscloud stets die alleinige Hoheit über ihre Daten haben und entscheiden können, wer Zugriff auf welche Information bekommt.
Quellen: Versicherungsbote | DIVI | Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf